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Antidepressiva

Geschichte der Antidepressiva

Die Geschichte der Antidepressiva ist eine Erfolgsgeschichte, die in den 1950er Jahren begann, aber noch lange nicht zu Ende ist. Zwar gibt es nach wie vor kein Wundermittel, das allen Patienten hilft, aber die Chancen auf eine langfristige Heilung werden immer besser.

Geschichte der Antidepressiva ab 1952

Die Geschichte der Antidepressiva begann 1952 eher zufällig. Auf der Suche nach einem Medikament gegen Tuberkulose testeten Forscher den Wirkstoff Iproniazid. Die Versuchspersonen waren Patienten des Seaview Hospitals auf Staten Island. Dabei fiel den Wissenschaftlern etwas auf: Patienten, die vorher lethargisch und traurig waren, berichteten von besserer Stimmung, hatten mehr Appetit und schliefen besser. Das Magazin „Life“ schickte sogar Fotografen, um den Erfolg zu dokumentieren.

Iproniazid blockiert ein Enzym namens MAO, das wiederum Botenstoffe wie Serotonin, Noradrenalin und Dopamin abbaut. Die Blockade von MAO scheint die Aktivität dieser Botenstoffe zu normalisieren. Iproniazid ist seit 1958 als Antidepressivum zugelassen. Es trug dazu bei, die Bedeutung des MAO-Systems bei Depressionen zu erkennen und begründete eine ganze Klasse von Antidepressiva, die so genannten MAO-Hemmer. Ihre breite Anwendung wurde jedoch durch Nebenwirkungen eingeschränkt.

Ende der 1950er Jahre kamen die trizyklischen Antidepressiva auf. Der erste Wirkstoff dieser Art war Imipramin. Während es zunächst an Schizophreniekranken getestet wurde und sich als unwirksam erwies, zeigte es bei Depressiven bessere Ergebnisse und wurde 1959 als Antidepressivum zugelassen.

Geschichte der Antidepressiva ab 1970

Anfang der 1970er Jahre mehrten sich die Hinweise auf die Rolle von Serotonin bei Depressionen, gleichzeitig wuchs die Besorgnis über die Nebenwirkungen von MAO-Hemmern und trizyklischen Antidepressiva.

Die Wissenschaftler wandten sich daher den SSRI zu, den selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern. Diese Medikamente verstärken die Serotoninaktivität und scheinen weniger Nebenwirkungen zu haben als andere Antidepressiva. Fluoxetin, eine der bekanntesten Entwicklungen in der Geschichte der Antidepressiva, wurde 1987 von der FDA zugelassen und kam im folgenden Jahr unter dem Namen Prozac auf den Markt. Ein Jahr später waren bereits 2,5 Millionen Rezepte ausgestellt worden. Weitere SSRI, die seitdem auf den Markt gekommen sind, sind Paroxetin, Sertralin, Citalopram, Escitalopram und Fluvoxamin.

In den 1980er und 1990er Jahren kamen neue Antidepressiva auf den Markt, die auf das Monoamin-Neurotransmittersystem wirken, darunter der Dopamin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer Bupropion und der Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer Venlafaxin.

Trotz dieser Fortschritte muss jeder, der mit der Behandlung von Depressionen zu tun hat, zugeben, dass diese Medikamente einige Nachteile haben. Alle Antidepressiva können Nebenwirkungen wie Übelkeit, Schwindel, Schlaflosigkeit und sexuelle Funktionsstörungen haben. In der Regel dauert es mehrere Wochen, bis sie ihre Wirkung entfalten. Bis zu einem Drittel der Menschen mit Depressionen sprechen nicht auf diese Medikamente an. Diese Unzulänglichkeiten haben eine neue Ära in der Behandlung von Depressionen notwendig gemacht.

Geschichte der Antidepressiva ab 1980

Depressionen wurden lange Zeit als ein chemisches Ungleichgewicht angesehen: Man nahm an, dass ein Mangel an einem chemischen Botenstoff in den Spalträumen (oder Synapsen) zwischen den Nervenzellen die Kommunikation zwischen diesen Zellen stört.

Studien aus den 1980er Jahren und später zeigten jedoch, dass einige Patienten mit Depressionen eher erhöhte als erniedrigte Werte dieser chemischen Botenstoffe (oder Neurotransmitter) aufwiesen. Darüber hinaus führten einige wirksame Medikamente gegen Depressionen dazu, dass die Werte eines Neurotransmitters eher abnahmen als zunahmen. Und bei vielen Patienten, die mit Medikamenten behandelt wurden, die den Serotoninspiegel erhöhten, verbesserte sich die Stimmung nicht.

Es war klar, dass Depressionen nicht auf einen einfachen chemischen Mangel zurückzuführen waren. Stattdessen begannen Wissenschaftler, die neue Behandlungsmethoden entwickelten, zu verstehen, dass Menschen mit Depressionen weit verbreitete Veränderungen in der Funktion von Neurotransmittern, strukturelle Veränderungen in den Hirnregionen, die ihre Stimmung und Emotionen regulieren, und Veränderungen in der Verdrahtung oder Konnektivität des Gehirns aufwiesen.

Der nächste Schritt bestand darin, ein Medikament zu finden, das auf die größeren Schaltkreise und Verbindungen im Gehirn wirkt. Es stellte sich heraus, dass dies ein Medikament war, das seit Jahrzehnten in Operationssälen verwendet wird.

Ketamin: Ein Anästhetikum mit neuem Nutzen

Ketamin wird seit den 1960er Jahren als Anästhetikum verwendet. Es wirkt auf das Glutamatsystem, das bei Depressionen gestört ist (der Glutamatweg ist ein Erregungsweg, der Gehirnprozesse in Gang setzt).

Eine einflussreiche Studie aus dem Jahr 2000 hat gezeigt, dass eine einzige Injektion von Ketamin innerhalb von 72 Stunden eine schnelle antidepressive Wirkung hat. Diese Wirkung hielt mehrere Wochen an. Eine Nasensprayversion namens Spravato (Esketamin) erhielt 2019 die Zulassung der FDA als Zusatztherapie bei therapieresistenten Depressionen. Die EMA-Zulassung folgte im selben Jahr.

Die spannende Geschichte von Ketamin hat gezeigt, dass bei der Entwicklung moderner Antidepressiva mehr als nur ein chemischer Botenstoff berücksichtigt werden muss. Esketamin bewirkt positive Veränderungen in der Funktion von Schaltkreisen im Gehirn. Es regt das Nachwachsen von Synapsen an und stellt so die Verbindungen zwischen den Gehirnzellen wieder her.

Es gibt jedoch auch Nebenwirkungen. Zu den Nebenwirkungen von Esketamin gehören dissoziative Symptome (außerkörperliche Erfahrungen und Halluzinationen), und es besteht die Gefahr des Missbrauchs. Bei älteren Patienten kann die Ansprechrate geringer sein. Esketamin sollte in einer Arztpraxis oder Klinik verabreicht werden.

Transkranielle Magnetische Stimulation

Trotz der langen Geschichte der Antidepressiva sind Medikamente nur eine Option. Bei der nichtmedikamentösen Behandlung von Depressionen wurden bedeutende Fortschritte erzielt.

Die transkranielle Magnetstimulation (TMS) ist eine nichtmedikamentöse und nicht-invasive Option, die einen wichtigen Platz in der Geschichte der Depressionsbehandlung einnimmt. Die Technologie geht auf Experimente mit Nerven und Muskeln in den 1790er Jahren zurück. In einem Vortrag an der Royal Institution of Great Britain im Jahr 1859 erläuterte der Wissenschaftler Michael Faraday einige der Prinzipien des Elektromagnetismus, die die Entwicklung der TMS beeinflussen sollten. Ein voll funktionsfähiger Magnetstimulator wurde in den 1980er Jahren in Sheffield, England, in die klinische Praxis eingeführt.

Bei der TMS werden hochkonzentrierte magnetische Impulse an Hirnregionen abgegeben, die für die Stimmungsregulation von entscheidender Bedeutung sind. Die TMS geht über die Korrektur eines einfachen chemischen Ungleichgewichts hinaus. Vielmehr setzt sie an den komplexen Veränderungen des Gehirns bei Depressionen an und hilft, neue Verbindungen zwischen den Nervenzellen in den betroffenen Hirnregionen herzustellen. Bei vielen Patienten kann sie dazu beitragen, einige oder sogar alle Symptome der Depression zu lindern.

Die TMS ist heute auch in Deutschland für die Behandlung schwerer depressiver Störungen zugelassen, wenn eine medikamentöse Behandlung erfolglos war. Die gesetzlichen Krankenkassen erstatten diese Behandlung noch nicht. Die meisten privaten Krankenkassen übernehmen die Kosten. Es empfiehlt sich jedoch, dies vorab mit dem Versicherer abzuklären.

Wie geht die Geschichte der Antidepressiva weiter?

Trotz aller Fortschritte in der Forschung gehen die meisten Experten davon aus, dass die Geschichte der Antidepressiva noch lange nicht zu Ende ist. Neuere Wirkstoffe sind in der Regel wirksamer und haben weniger Nebenwirkungen.

Man kann zwar keine Antidepressiva ohne Rezept kaufen, da die Risiken den Nutzen überwiegen würden, aber bei entsprechender Diagnose kann ein erfahrener Arzt problemlos ein geeignetes Präparat verschreiben. Methoden wie die TMS oder alternative Medikamente wie Ketamin können heute schon vielen Menschen helfen. Aber sie sind nicht immer erfolgreich. Ein Wundermittel, das allen Patienten hilft, ist noch nicht in Sicht. Aller Voraussicht nach wird die Geschichte der Antidepressiva noch eine Weile weitergehen.

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